Wann darf ich ein Friesenpferd anreiten?
Eine Frage der Vernunft und Geduld... auch wenn es schwer fällt.
Das vorweg: Ich bin keine Tierärztin und keine zertifizierte Ausbilderin. Aus mir spricht lediglich die jahrzehntelange Erfahrung einer Pferdehalterin und -Züchterin, die mit offenen Augen und Ohren in der Pferdewelt unterwegs ist und mir daraus meine eigenen Prinzipien zurecht gelegt habe.
Grundsätzlich kann ich das Gefühl ja nachvollziehen. Man hat sich einen Herzenswunsch erfüllt, einen Absetzer, Jährling oder 2-Jährigen gekauft und schon kribbelt es in den Fingern. Man sieht sich schon durch Wald und Wiesen reiten, Ausfahrten mit Pferd unternehmen, es vielleicht auch in einem Zuchtverband oder auf einem Turnier vorzustellen. Die Ungeduld wächst mit jedem Tag, den ich putze, pflege, bekuschel usw. Rundherum im Stall werden Sattelanproben gemacht, Turniernennungen vorbereitet und und und. Ja, und ich sitze da mit meinem Jungspund. Noch nicht Fisch oder Fleisch....
Das sollte trotzdem niemanden in übereilte Entscheidungen treiben, so früh wie möglich loszulegen. Gerade bei den Friesenpferden, die bekanntlich in ihren unterschiedlichen Wachstumsphasen absolute Spätentwickler sind, werden wir bei der Ausbildung zu Geduld erzogen, wenn wir an der gesunden Entwicklung bis ins hohe Alter interessiert sind, die uns ein möglichst langes Leben mit unserem vierbeinigen Freund ermöglicht.
Ein Blick auf die Knochen im Wachstum: Die Hauptwachstumsphase ist beim Pferd schon sehr früh mit einem Alter von ca. 12 Monaten abgeschlossen. Die eigentliche Ausreifung allerdings erst mit 4-5 Jahren (beim Friesenpferd also eher noch etwas später). Das heißt gerade im Hinblick auf die sogenannten „Wachstumsfugen“ des Knochengerüstes ist diese vollständige Ausreifung sehr wichtig. Ist die Wachstumsfuge noch nicht ausreichend verknöchert und wird sie durch Belastung zusätzlich noch strapaziert, können Schäden entstehen, die den Knochenbau unserer Pferdes bis zu seinem Lebensende negativ begleiten werden.
Ein weiterer, negaitver Einfluss auf das Knochenwachstum und die Entwicklung ist natürlich, logisch gefolgert, auch ein zu frühes Beschlagen der Pferde. Gerade mit dem Blick auf die Wachstumsfugen nehme ich dem natürlichen Gewebe des Hufhorns ( siehe dazu auch www.luckyhoof.de) durch das daraufgesetzte Eisen viel Möglichkeit, Stöße und Last auf die Knochen „abzufedern“, mit Elastizität entgegen zu wirken. Auch das ist für diese leider sehr störanfällige Wachstumsphase der Knochen eigentlich mehr Gift als Nutzen. Kommt dann auch noch zu viel einseitige Belastung hinzu, z.B. durch ewig langes Longieren auf gebogener Linie, dann erklärt sich der auch daraus entstehende „negative Einfluss“ ganz von alleine.
Aber zurück zum Anreiten: Die Lehrbücher der FN geben klar hervor, das ein Anreiten von jungen Pferden mit Abschluss des dritten Lebensjahres erfolgen sollte. Ich frage mich natürlich, wieso die FN dann Reitpferdeprüfungen für 3-jährige Pferde anbietet oder genehmigt und somit von ihrer Empfehlung abweicht? Aber das betrifft ja uns Friesenleute nicht wirklich und auch die normalen Warmblutreiter und Züchter sind inzwischen sensibilisiert und gehen etwas davon ab.
All das, was ich Euch oben bereits über das Knochenwachstum bei Pferden erzählt habe, wobei ich den Huf und die Beine im Auge hatte, gilt natürlich auch für den Rücken- und den Halswirbelbereich. Erschwerend kommt beim Friesenpferd die naturgegebene „hohe Aufrichtung“ hinzu, die den Rücken sowieso in den Focus der zukünftigen Arbeit bringen sollte und generell einen sensibleren Reiteinsatz erfordert (vorwiegend in die Tiefe). Eine zu frühe Belastung des Rückens beim Friesenpferd durch das Gewicht eines Reiters ist daher ebenfalls nicht zu empfehlen und sollte auch für die spätere Entwicklungs-/Ausbildungsphase der Friesenpferde berücksichtigt werden.
Jetzt stellt Ihr Euch sicher die Frage: Ach Mensch, ich will ja alles richtig machen..... aber was kann ich denn mit meinem jungen Pferd in dieser Zwischenzeit machen, ohne die Gesundheit des Wachstums zu stören? Ohne ihn auch mental nicht zu überfordern und trotzdem Kontakt zu haben?
Die Antwort ist gar nicht so schwierig. Es gibt soooo viel, was ihr machen könnt, um die Wintertage zu verkürzen, gemeinsam Spaß zu haben und die Vertrauensbasis zwischen Euch und Eurem jungen Freund zu festigen. Nehmt Euch z.B. mal die Aufgaben für sogenannte „Gelassenheitsprüfungen“ vor. Anregungen dazu findet Ihr in Büchern, im Internet aber auch im „You-Tube-Kanal“ als Live-Stream zum Anschauen. Aufgaben wie „Hufe wässern, Plane oder Decke über den Rücken, Brücken überwinden, raschelnde Tüten oder geöffnete Regenschirme ignorieren...“ sind tolle Möglichkeiten, Pferde ohne körperliche Belastung „zu arbeiten“ (Kopfarbeit ist auch sehr anstrengend), Vertrauen zu schaffen und viel sinnvolle Zeit mit ihm zu verbringen. Gerade über die Winterzeit, wo wir die Pferde näher am Haus haben. Das wiederum hilft für alles, was später kommen wird. Ihr werdet sehen, das spätere Anreiten ist dann nur noch „ein Klacks“.
Auch „etwas Ziehen“ ist grundsätzlich gut und nicht belastend. Solltet Ihr den Fahrsport im Auge haben, dann kann ein junges Pferd ohne weiteres an das Fahrgeschirr, das Klappern der Schnallen etc. gewöhnt werden. Trägt es sein Geschirr voll Vertrauen und ohne Angst, dann ist auch ein alter Autoreifen oder im Winter ein kleiner Schlitten dahinter schon möglich. Vielleicht könnt Ihr mit Eurem jungen Pferd dann mal den Reitplatz abziehen. Das freut auch die anderen Reiter in Eurem Stall. Ihr werdet sowieso merken, dass Eure Winterarbeit mit den Gelassenheitsübungen sehr schnell die Aufmerksamkeit der anderen Einsteller/Reiter auf sich zieht. Jetzt möchte es jeder mal probieren. Und schwupp-di-wupp seid Ihr plötzlich eine Gruppe, die ihren Pferden diese Abwechslung in größerem Kreis bietet. Dann bringt alles doppelt so viel Spaß und Ihr mit Eurem „Jungspund“ seid nicht mehr länger ein Aussenseiter, sondern Vorreiter für vertrauenfördernde Massnahmen. Mit diesen Übungen erreicht Ihr auch einen zweiten sehr wichtigen Punkt besser einzuschätzen: Ist mein Pferd mental auch schon bereit mitzuarbeiten? Denn auch mental ist eine Pferdeseele sehr zerbrechlich und den Grundstein für einen verlässlichen, gesunden Kameraden legen wir am Anfang seines jungen Lebens.
Von der Teilnahme am „Freispringen“, was gerade im Winter häufiger in Ställen angeboten wird, rate ich in der Wachstumsphase bei Friesenpferden auch eher ab. Die Belastung der Vorderbeine beim Aufsetzen nach dem Sprung ist schon gewaltig hoch. Durch die größere, natürliche Vorderlast der Friesen (breite Brust, kräftiger Hals) kommt dann noch mal mehr Last auf die Beine... und dann bin ich wieder bei den Wachstumsfugen und der Anfälligkeit in dieser Zeit. Gelegentliches Traben über kleine Cavalettis hingegen, ist ohne weiteres möglich und völlig in Ordnung.
Ihr seht: Vieles ist möglich, was Euch die Aufzuchtzeit wie im Fluge vergehen lässt und Euch einen enormen Vorteil verschafft. Nämlich mit Eurem Pferd in dieser Zeit zusammen zu wachsen. Voll Vertrauen und gesund. Damit Ihr beide lange voneinander habt.
Fazit: Wann reite ich ein Friesenpferd ein? Aus all dem, was ich Euch dazu jetzt geschrieben habe, könnt Ihr ableiten, dass ich empfehle, ein Friesenpferd frühestens zu Beginn des vierten Jebensjahres schonend anreiten zu lassen. Damit seid Ihr auf einem gesünderen Weg...
Ich wünsche Euch eine schöne Zeit!
Kommentare (4)
Iris
sabina
Celba Frank
Lisa